Im Gefängnis

Kultur aus New York: Hip Hop im Gefängnis
Bildquelle: 
Bäckstage.ch

Seit 7 Jahren arbeitet die Choreografin Connie ehrenamtlich in einem Frauen-Gefängnis in Connecticut. Zweimal im Monat reist sie jeweils per Zug aus New York an und unterrichtet einer Gruppe von Gefangenen Tanz. Heute gehe ich mit, denn Connie hat die Erlaubnis bekommen, ihre TänzerInnen mitzubringen.

 

Nach langer Fahrt erreichen wir das Gefängnis. Beim Eingang müssen wir durch eine Sicherheitskontrolle. Mein Pass wird kontrolliert. Brieftasche, jegliche Behälter und elektronische Geräte, wie Telefon oder Fotoapparat, müssen draussen bleiben. Durch lange, weisse Gänge gelangen wir zum Schultrakt. In den verschiedenen Klassenzimmern finden gerade die letzten Minuten des Unterrichts statt. Connie und ich gehen kurz in die Bibliothek um die Musikanlage zu holen. Die Bibliothek scheint die einer Primarschule zu sein. An den Wänden hängen Papiercollagen und Plakate, die aussehen, als ob 5. Klässler sie hergestellt hätten. In Wirklichkeit aber, wurden sie von den erwachsenen Insassinnen gebastelt.

 

Mona Lisa und Monet an den Wänden 

 

Als wir wieder im Gang sind, erklingt die Schulglocke und aus den Klassenzimmern strömen die Gefangenen. Ihre Gesichter sind hart und unnahbar. Ihre Körpersprache erzählt Bände. Ich bin aufgewühlt. Ich stelle mir vor, ich müsste hier meine Strafe aussitzen und wäre Tag um Tag dazu gezwungen in dieser Atmosphäre zu leben. Ich erkenne, dass ich nicht mal zwei Tage durchhalten würde. Vor Beginn der Tanzstunde möchte ich schnell die Toilette benutzen. Diese befindet sich in der Abteilung der Gefängnisbeamten, also muss ich den Aufseher bitten, mir die verriegelte Tür zu öffnen. An den Wänden dieser Abteilung entdecke ich eine Kopie der Mona Lisa und die eines Monet-Bildes. Hier hängen also Bilder für Erwachsene.

 

Langsam trudeln die Frauen, die zum Tanzprogramm zugelassen sind, ein. Ihre Gesichtszüge wirken weich und freundlich. Ein frappanter Unterschied zu den anderen Insassinnen. Das war vor 7 Jahren noch nicht der Fall. Connie berichtet mir, dass diese Frauen damals noch genauso unnahbar schienen, wie alle andern. Auch tanzen wollten nicht alle. Gefühle zeigen war tabu. Die langjährige Teilnahme am Tanzprogramm habe viel verändert. Innerlich singe ich eine Lobeshymne auf die Kunst und ihre heilende Wirkung auf Menschen. 

 

Die Gefangenen begrüssen Connie wie eine alte Freundin. Auch ich werde recht herzlich empfangen.

 

Nach einer kurzen Einführung erteile ich den Frauen eine Hip Hop-Stunde. Bei der Choreografie kommen die meisten gut mit. Ein afroamerikanisches Mädchen von ca. 25 Jahren scheint viel Erfahrung im Hip Hop zu haben und bittet bald darum, das Tempo zu erhöhen. Andere trauen sich nicht so sehr, aus sich heraus zu gehen und führen den Tanz ein wenig verhalten aus. Die Mehrheit scheint jedoch Spass zu haben. Ich sehe viele lächelnde Gesichter.

 

Die Gefängnisuniform für Sportanlässe ist eine graue, weite Trainingshose und ein weites T-Shirt - perfekt zum Tanzen. Nach eineinhalb Stunden ist Dinner-Pause. Alle, ausser einer chinesischstämmigen Frau, gehen zur Mensa. Connie will mit ihr noch schnell das Solo durchgehen, dass sie für die Frau choreografiert hat. Die Insassinnen arbeiten nämlich auf eine Aufführung hin, an der sie verschiedene Tänze zeigen werden. Die Frau tanzt das Stück auf sehr bewegende Art. Ihre Hände fallen mir auf. Zarte Hände, die sanft sein können.

 

Auch Connie weint 

 

Nach der Pause trudeln alle wieder ein und nehmen auf den Stühlen platz. Ich soll ein Solo performen, dass Connie für mich choreografiert hat. Es geht um misshandelte Frauen. Mir ist bewusst, dass die meisten Zuschauerinnen irgendwann in ihrem Leben selbst schon Misshandlungen verschiedener Art erlebt haben. Ich tanze und am Ende des Solos überwältigt mich die Stimmung im Raum. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurück halten. Ich schaue ins Publikum und entdecke viele weinende Gesichter. Auch Connie weint.

 

Anschliessend wird über das Stück gesprochen. Das Kernthema des Solos wurde verstanden und aufgrund eigener Erfahrungen  interpretiert. Zum Schluss zeigen mir die Frauen, welche Choreografien sie schon gelernt haben. Als ich sie so beobachte, merke ich, dass ich viel Sympathie für diese Frauen empfinde. Auf diesen Gedanken folgt ein weiterer, nämlich, dass die meisten dieser Menschen einen, oder mehrere Morde begangen haben. Geplant, oder ungeplant.

 

Vor Ende der Stunde bitten die Gefangenen darum, meine Hip Hop-Choreo nochmals tanzen zu dürfen. Das macht mich ein bisschen stolz. Nach überschwänglichem Abschied und vielen Dankesworten gehen die Frauen zurück in ihre Zellen und wir zum Bahnhof. Auf der Zugfahrt zurück nach New York lesen wir die schriftlichen Feedbacks, die die Gefangenen zum Solo verfasst haben. Dies löst nochmals viele Gedanken und Emotionen aus. Ich fühle mich dankbar für diese Erfahrung, aber weiss, dass es eine Weile dauern wird, bis ich sie verdaut haben werde.

 

"Art should comfort the disturbed, and disturb the comfortable."   Quelle unbekannt

Noemi Di Gregorio / Sa, 17. Mär 2012